Es ist mir eine besondere Ehre, im Namen der Großen Türkischen Nationalversammlung und als Vorsitzender des parlamentarischen Menschenrechteausschusses auch in Vertretung meiner mitgereisten Kollegen Şenal Sarıhan und Ali İhsan Yavuz bei dieser Gedenkveranstaltung zum 25. Jahr des mörderischen Brandanschlags auf die Möllner Familie Arslan das Wort an Sie richten zu dürfen.
Die Brandanschläge in Mölln und später Solingen gehören zu den Ereignissen, die nicht nur uns türkeistämmige Bürger in Deutschland damals tief erschüttert haben.
Die Attentäter von Mölln waren von ihrem Hass so tief überzeugt, dass sie den Anschlag sogar selbst meldeten. Zweimal riefen die beiden Mörder bei der Feuerwehr an, meldeten sich mit Hitlergruß um anschließend ihre für sie offenbar glorreiche Tat zu verkünden. Davor hatten sie zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser in der Nacht auf den 23. November 1992 mit Molotow-Cocktails beworfen und in Brand gesetzt. Neun Menschen wurden im ersten der angegriffenen Häuser zum Teil schwer verletzt. Im zweiten Haus kamen die zehnjährige Yeliz Arslan, die vierzehnjährige Ayşe Yılmaz und die 51-jährige Großmutter Bahide Arslan im lichterloh brennenden Wohnhaus auf grausamste Weise ums Leben. Bevor Bahide Arslan starb, hat sie zwei ihrer Enkel das Leben gerettet. Einen hat sie in ihrer Verzweiflung aus dem Fenster heruntergeschmissen, einen anderen hat sie in einen nassen Laken gewickelt und unter einen Tisch gelegt. Nur so konnten sie überleben und sind Gott sei Dank heute unter uns.
Die Familie Arslan wurde Opfer eines grenzenlosen Hasses, der sich damals in der neu wiedervereinigten Republik wie ein Flächenbrand überall im Land ausbreitete und sich seine Opfer unter den schwächsten der Gesellschaft suchte. Die Amadeu Antonio Stiftung spricht von mindestens 192 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990. Erst nach der Selbstanzeige der NSU sorgte der öffentliche Druck erstmals dafür, dass die Thematik „rassistische Gewalt“ ernster genommen wurde. So entschied sich das Bundeskriminalamt zusammen mit allen 16 Landeskriminalämtern, mehr als 3.300 unaufgeklärte versuchte und vollendete Tötungsdelikte zwischen 1990 und 2011 noch einmal auf ein mögliches rechtsextremes Tatmotiv zu prüfen. Schließlich wurden bei 745 Tötungsdelikten und –versuchen (mit insgesamt 849 Opfern) Anhaltspunkte für ein rechtes Tatmotiv gefunden.
Tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat sich die damalige Reaktion von Bundeskanzler Helmut Kohl. Er hatte bei der Trauerfeier für die Opfer von Mölln nicht teilgenommen. Später erklärte sein Sprecher, die Bundesregierung wolle nicht in einen „Beileidstourismus“ verfallen. Ich war damals 17 Jahre alt, fühlte mich von diesen Worten betroffen, begriff die Tragweite jedoch erst einige Jahre später.
Auch jetzt, 25 Jahre nach dieser schrecklichen Nacht sind die Wunden dieser Stadt und seinen Bewohnern, allen voran der Familie Arslan, nicht verheilt. Auch nach nunmehr einem Vierteljahrhundert können wir die Tat und die Motive der inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzten Täter nicht rational erfassen. Was für einen Sinn sollte dieser feige Mord von unbescholtenen Bürgern dieses beschaulichen Ortes haben.
Herbert Grönemeyer sagt in einem seiner erfolgreichsten Lieder: „und der Mensch heißt Mensch weil er vergisst, weil er verdrängt.“ Nun wir vergessen und verdrängen tatsächlich und Anlässe wie der heutige erinnern uns. Wir wissen aber auch, dass seit den schrecklichen Brandanschlägen das Leben für die Hinterbliebenen der Opfer sich sehr schwierig gestaltet hat. Deshalb geht es mir heute selbstverständlich nicht darum, ihren Schmerz noch zu vergrößern. Aber ich denke, er wäre für Sie – 25 Jahre nach den Anschlägen – ein stückweit erträglicher, wenn unsere Gesellschaft diese immerwährende Mahnung verinnerlicht hätte und wir Hand in Hand jeder Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit jegliche Basis entzogen hätten. Mit allein im letzten Jahr mehr als 1.000 Anschlägen auf Flüchtlingsheime und Moscheen und zahllosen Übergriffen auf vermeintlich fremd aussehende Menschen bedrückt es mich, festzustellen, dass die schreckliche Geschichte der Familie Arslan in Mölln, zu vielen in der Gesellschaft scheinbar nichts gelehrt hat.
Wie sonst wäre es zu erklären, dass es trotz der dramatischen Geschichte dieser Stadt und dem Mahnmal in der Mühlenstraße es möglich ist, das eine unverhohlen rassistische Partei wie die AfD hier über 9% der Stimmen bei den letzten Bundestagswahlen für sich verbuchen konnte. Selbstverständlich möchte ich den vielen Initiativen und Institutionen, die sich schon seit Jahrzehnten für ein aktives und gleichberechtigtes Miteinander und gegen Rassismus engagieren, nicht Unrecht tun. Aber wir alle stehen in der Verantwortung zu verhindern, dass das gesellschaftliche Klima von Scharfmachern, diesmal nicht mit Glatze und Springerstiefeln, sondern mit Anzug und Krawatte, vergiftet wird. Insbesondere wir politisch Verantwortlichen müssen uns der rassistischen und fremdenfeindlichen Propaganda der sogenannten populistischen Parteien beherzt entgegenstellen und müssen uns davor hüten, ihre giftigen Argumente in irgendeiner Form zu adaptieren. Im Schulterschluss mit der überwältigenden Mehrheit unserer Gesellschaft gilt es den Feinden der Menschlichkeit und des sozialen Friedens deutlich zu machen, dass wir diesem antiquierten braunen Gedankengut keinen Millimeter Spielraum mehr einräumen werden.
Das sind wir den Opfern der Anschläge von Mölln und auch Solingen, den Opfern der NSU-Terroristen, den Menschen die hier seit Jahrzehnten friedlich leben, den Menschen die hier Zuflucht vor Krieg und Terror gefunden haben und auch der hier anwesenden Familie Arslan schuldig.
Gerade der Rechtsstaat ist diesen Situationen mehr denn je gefordert!
Er schuldet Opfern und Hinterbliebenen Gerechtigkeit, er schuldet Aufklärung und Antworten auf offene Fragen. Die Täter von Mölln wurden gefasst und ihrer Strafe zugeführt. Doch wissen wir, dass Ermittlungserfolge wie diese leider nur Ausnahmen sind. Die Aufklärungsquote von rassistisch motivierten Straftaten ist auf einem erschreckend niedrigen Niveau. Die Gründe hierfür sind vielfältig, wie wir insbesondere nach dem Bekanntwerden des NSU-Komplexes mit Staunen erfahren durften. Ich möchte hier nicht auf die endlosen Fehler und Ungereimtheiten in diesem Kontext eingehen, das würde hier den Rahmen sprengen.
Ein Zitat aus dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages möchte ich dennoch vorlesen. Ich meine, es veranschaulicht das Problem, vor der wir stehen. Darin steht: „Die Häufung falscher oder nicht getroffener Entscheidungen und die Nichtbeachtung einfacher Standards lassen aber auch den Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens eines Auffindens der Flüchtigen zu. Die Geschichte der von 1998 bis 2003 von allen daran Beteiligten betriebenen bzw. nicht betriebenen Fahndung ist im Zusammenhang betrachtet ein einziges Desaster.“
Die Verfasser weisen in dem knapp 2.000-Seiten-Bericht auf das Problem hin. Es heißt: struktureller bzw. institutioneller Rassismus.
Anstrengungen in diesem Bereich lassen leider noch zu wünschen übrig und sind deutlich ausbaufähig. Mit großer Sorge beobachte ich etwa, dass die meisten Handlungsempfehlungen des Untersuchungsausschusses des Bundestages nach wie vor nicht umgesetzt wurden. Wir würden uns sicher deutlich besser fühlen, wenn wir wüssten, dass in diesem Bereich alles Menschenmögliche unternommen worden ist.
Meine Damen und Herren,
ich verneige mich nochmals vor den Opfern des Brandanschlags von Mölln und bete um die Gnade unseres Schöpfers. Den Hinterbliebenen wünsche ich Kraft und Geduld, den unvorstellbaren Schmerz, der die Familienangehörigen das ganze Leben begleitet, zu ertragen und bedanke mich nochmals bei Ihnen und den Veranstaltern für die geschätzte Aufmerksamkeit.