Yeneroğlu: “Mär vom Weihnachtsverbot zeigt, die Berichterstattung über die Türkei ist längst postfaktisch.“
Mit Blick auf die Berichterstattung über ein angeblich behördlich angeordnetes Verbot der Behandlung von Weihnachten im Unterricht sowie der Untersagung einer Weihnachtsfeier an einem Gymnasium in Istanbul verweist Mustafa Yeneroğlu (AK Partei), Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses der Großen Nationalversammlung der Türkei, auf den Einzug des „postfaktischen“ in die deutsche Medienwelt und wiederholt seine Sorge um den Stand der türkisch-deutschen Beziehungen. Yeneroğlu weiter:
„Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat vor wenigen Tagen „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 gewählt und damit das Augenmerk darauf gerichtet, dass es bei politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht. Während aber die GfdS dieses Phänomen der „gefühlten Wahrheit“ auf stetig wachsende Bevölkerungsschichten fokussiert, zeigt allein die jüngste Berichterstattung über eine angebliche behördliche Unterbindung der Behandlung von Weihnachtsthemen im Unterricht sowie einer Weihnachtsfeier in einem Istanbuler Gymnasium, dass die deutsche Medienlandschaft vor allem in der Türkei-Berichterstattung längst von dieser „Lawine“ erfasst worden ist.
Ohne Hintergründe und Fakten in eigentlich für seriöse Medienbetriebe gewohnter Manier aufzuarbeiten, reicht es inzwischen wohl, dass man dem türkischen Gegenüber bestimmte Handlungsmuster grundsätzlich zutraut, um jede zugespielte noch so hanebüchen Halbinformationen zu veröffentlichen. Wie sonst ließen sich das totale Versagen der Journalisten und vor allem die übergreifende einhellige Meinung bei der kritischen Thematik erklären? So hätten schon simpelste Recherchemaßnahmen gereicht um festzustellen, dass es sich nicht um eine Deutschland unterstellte Schule handelt, sondern um ein Gymnasium unter Aufsicht des türkischen Bildungsministeriums und dass es nicht um eine Weihnachtsfeier in der Schule ging, sondern um den Auftritt eines Chores bei der Feier des deutschen Generalkonsulats.
Ohne den journalistischen Ehrgeiz der Korrespondenten zu wecken, bleibt doch vor allem rätselhaft, wie eine türkische Behörde etwas verbieten soll, was gar nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich und darüber hinaus in der Freizeit der Schüler stattfindet. Dass es auf dem Gymnasium gar keine deutschen oder überhaupt Schüler mit christlichen Glauben gibt, setzt der gesamten medialen Aufbereitung die Krone auf und offenbart ein journalistisches Verständnis, das noch nicht einmal mehr das Prädikat „ungenügend“ verdient. Und zur Reflektion: Man stelle sich mal die Empörungswelle vor, wenn in Bayern ein aus der Türkei entsandter Lehrer von einer rein christlichen Schülerschaft unterrichtsfremd erwarten würde, Ramadanlieder zu singen und islamisch/religiöse Themen nach der Vorstellung der Lehrer zu behandeln. Genau diese Beschwerden liegen der Schulleitung vor und diese hat daraufhin nichts anderes unternommen, als die deutsche Abteilung vor den Fragen der Schülerschaft um Sensibilität und Klärung zu bitten.
Dieser „postfaktische“ Mechanismus prägt neben der Berichterstattung aus der Türkei inzwischen auch den Umgang mit den in Deutschland lebenden türkeistämmigen Bürgern bzw. ihren Körperschaften und erzeugt einen nicht hinnehmbaren Rechtfertigungsdruck, der über den deutschen Horizont hinaus auch die Atmosphäre der türkisch-deutschen Beziehungen kontinuierlich verschlechtert. Es ist also längst an der Zeit wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren, um insbesondere auch ernst gemeinter Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei nicht jegliche Legitimation zu entziehen.“