„Offenbar haben Ermittlungsbehörden, Politik und Medien nichts gelernt aus dem NSU-Komplex. Polizeimeldungen werden unkritisch übernommen, es wird relativiert und weggeschaut“, erklärt Mustafa Yeneroğlu, Abgeordneter der AK-Partei in der Großen Nationalversammlung der Türkei. Anlass ist ein bewaffneter Angriff in einer Heilbronner Bäckerei, die von einem Türkeistämmigen betrieben wird. Ein 30-jähriger Mann ist am Dienstagmorgen mit einer Pistole in der Hand unauffällig in den Laden gegangen und hat auf die Verkäuferin hinter dem Tresen, die ein Kopftuch trägt, geschossen. Anschließend ist er geflüchtet. Sicherheitskameras haben den Vorfall gefilmt. Mustafa Yeneroğlu weiter:

„Der Vorfall in dem Laden des türkeistämmigen Unternehmers erinnert sehr stark an die NSU-Morde. Das bisherige Vorgehen der Polizei und der Staatsanwaltschaft wiederum erinnert sehr stark an das Versagen der Ermittlungsbehörden in dem NSU-Komplex. Warum?

Die NSU-Mörder haben sich gezielt ausländische, vordergründig türkeistämmige Unternehmer ausgesucht und sie in ihren Läden mit einer Pistole kaltblütig ermordet. Die Ermittlungsbehörden haben zahlreichen Hinweisen zum Trotz nicht in rechtsextremen Kreisen ermittelt. Dass die Opfer ‚zufällig‘ mehrheitlich türkeistämmig waren, wurde außen vorgelassen.

Polizei und Staatsanwaltschaft handeln im aktuellen Fall in Heilbronn mindestens fahrlässig, wenn sie in ihrer Mitteilung zum Fall es nicht einmal für erwähnenswert halten, dass das Opfer Türkeistämmig ist, ein Kopftuch trägt und dass der Laden einem türkeistämmigen Unternehmer gehört. Diese zentralen Merkmale sind mögliche Hinweise darauf, dass die Tat rassistisch und/oder islamfeindlich motiviert sein könnte. Es irritiert wiederum sehr, dass Polizei und Staatsanwaltschaft stattdessen die polnische Abstammung des Tatverdächtigen für mitteilungswert halten, obwohl diese Info keinerlei Rolle für die Qualifizierung der Straftat spielt.

Ebenso irritierend ist, wenn der Polizeisprecher mitteilt, dass Vergleiche zum NSU-Komplex ‚an den Haaren herbeigezogen‘ seien. Es war genau diese Haltung und diese Ignoranz in den Ermittlungsbehörden, die zum großen ‚Versagen‘ im NSU-Komplex geführt hat. Den Aussagen der Opfer wird kein Glauben geschenkt. Das Opfer, das während der Tat dem Täter in die Augen geschaut hat, ist sich sicher, dass der Täter rassistische Motive hatte. Wie im NSU-Komplex wird der Aussage des Opfers keinerlei Stellenwert beigemessen. Stattdessen werden alle Hinweise für einen möglichen rassistischen Hintergrund gekonnt ausgeblendet und relativiert, wo immer es geht.

Wenn der Tatverdächtige im vorliegenden Fall behauptet, er habe einen ‚Kurzschluss‘ gehabt und wahllos geschossen, so ist das offensichtlich eine Schutzbehauptung, um einer möglichen schwereren Strafe zu entkommen. Im Video der Überwachungskamera ist deutlich zu erkennen, dass der Täter ruhig und gezielt in den Laden gegangen ist und keinesfalls im ‚Affekt‘ oder im ‚Kurzschluss‘ gehandelt hat, sondern gezielt.

Es ist bezeichnend, dass über diesen Fall lediglich ein paar wenige lokale Blätter berichten und das Groß der deutschen Medienlandschaft schweigt. Nur vereinzelt findet man Berichte in überregional aufgestellten Medien, die wiederum unkritisch die offizielle Mitteilung der Polizei und Staatsanwaltschaft übernehmen und verbreiten. Offenbar haben auch die Medien nichts gelernt vom NSU-Komplex. Dabei drängen sich hier Fragen geradezu auf – auch für die Politik.

Eventuell hilft es, wenn sich Sicherheitsbehörden, Politik und Medien folgende Frage stellen: „Würden wir uns genauso verhalten, wenn die Bäckerei von einem Juden betrieben worden wäre und hinter dem Tresen ein Verkäufer mit Kippa gestanden hätte?“

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